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51-Das Wunder Von Kaali

Im Frühjahr 1264 war es endlich so weit: Nahe Riga sammelte sich ein kleiner, bunt gemischter Trupp, den nur eines verband: Der Wille, dem gefallenen Engel das Handwerk zu legen. Staniçs brachte 16 Krieger des Deutschritterordens; Lucius eine Handvoll Grogs aus Gro, sein Familiar Ker, und den Niflson Durnir; Pranas und Woden waren ebenso dabei wie zwei Dutzend Tierkinder aus dem Baltikum.

Vom Schwertbrüderorden hatten sie erfahren, dass dieser für den nächsten Tag die großangelegte Invasion plante. Während der Großteil der Verteidiger abgelenkt war, würde ihr kleiner Trupp zum Kratersee vorstoßen und den gefallenen Engel konfrontieren. Reichlich spät kam Muninn kurz hinzu, um eine Karte mit seinen Erkenntnissen über Saaremaa beizusteuern.

Dann, am Abend, waren Segel am Horizont zu sehen. Schnell gab es Entwarnung: Dies war kein vorzeitiger Angriff, sondern weitere Unterstützung! Jarek und Freyr stießen mit ihren Kriegern sowie der Bernsteinkrabbe hinzu. Doch Freyr brachte auch schlechte Nachrichten: Die Karte konnte so nicht ganz stimmen!

Daher begann der nächste Tag damit, dass einige Tierkinder und Ker sich auf Erkundungsflüge begaben, um herauszufinden, was überhaupt stimmte an der Karte. Schnell stellte sich heraus, dass dies sehr wenig war. Um ein Haar wären sie mit ihren Schiffen vor Steilklippen gedümpelt, weit weg von der eigentlichen Regio. Doch dank Kers Einsatz konnten sie alle wesentlichen Gefahren erkennen.

Eine davon war Agitatus ex Flambeau, der die Invasion des Schwertbrüderordens vereiteln sollte - und dem dies mit seinen 100 Jahren Erfahrung auch gelungen wäre. Lucius entschied, dass es alle Risiken wert sei, dieses Fiasko abzuwenden. Und so schlichen sich Lucius und Pranas auf Kers Rücken in die Nähe des alten Flambeau. Dessen Todeszauber prallte an Pranas ab, und der Priester nutzte die Verwirrung, um mit Hilfe des Gewandes des gefallenen Engels den Einfluss Karbas' über Agitatus zu bannen.

Dies gelang ihm glücklicherweise, und so konnte Agitatus zumindest davon abgehalten werden, weiterhin gegen die Angreifer vorzugehen. Eine große Gefahr war gebannt.

Dank Wellenzauber ging die Landung des kleinen Trupps sehr erfolgreich von statten. Auch der Marsch inland konnte von den verstreuten Einheimischen nicht aufgehalten werden. Schließlich kamen sie zum Kratersee, und dort stießen sie auf heftige Gegenwehr: Incinerata, der Hohepriester, der verdammte Geist Mindaugas' und seine Leibwache, sowie der Blitzdämon stellten sich ihnen entgegen.

Ein großer Kampf entbrannte, doch Gott war auf der Seite der Angreifer: Incinerata lief von einem Patzer in den nächsten, der Blitzdämon versuchte vergebens, den von einer Prophezeiung geschützten Woden zu töten. Der Hohepriester und Mindaugas unterlagen Ker, Durnir und Belis Kindern. Durnir selbst streckte Mindaugas mit einem gezielten Schuss nieder.

Doch das Blatt schien sich zu wenden, als Odorpes auftauchte, die mit einem riesigen Brüller fast alle Grogs tödlich verletzt zu Boden schickte. Einem Angriff der Krabbe wich sie einfach aus, doch dann kam Ker angeschossen. Ein monumentaler Klauenhieb war genug, um die Bjornaer schwerst verwundet zu Boden zu schicken. Der Kampf war gewonnen, wenn auch letztendlich zu einem hohen Preis: Balaźs, ein Dutzend Tierkinder und alle Ordenskrieger außer Staniçs - der von einem Splitter des Kreuzes von St. Moritz geschützt war - waren tot.

Lucius begann mit dem Ritual, um das korrumpierte Wasser des Kratersees zu vernichten. Währenddessen entdeckten Pranas und der angeschlagene Woden, dass die Teufelsanbeter Wodens Bruder, Balder, bereits seit 1215 in Gewahrsam hatten. Der Teufel wollte die beiden nutzen, um seinen Ketten zu entkommen. Doch da Woden von einem Engel erfahren hatte, dass der Plan des Teufels so nicht aufgehen würde, schlossen sie sich schließlich der Gruppe an, die in die Regio des gefallenen Engels herabstieg.

Dort stand die verkrüppelte, ausgezehrte Figur Karbas' an einen Stein gekettet. Mit dem Auftauchen von Woden und Balder begannen sich die Ketten zu lösen, für einen Augenblick war so etwas wie Triumph im wutverzerrten Gesicht des gefallenen Engel zu erkennen - doch dann lösten sich nicht etwa die Ketten von ihm, sondern vom Stein, und banden ihn an seine beiden Söhne. Wut und Neid schossen Karbas ins Gesicht, doch sie verschwanden so schnell, wie sie aufgetaucht waren - durch die Ketten, in die zuckend daliegenden Gestalten Wodens und Balders.

Diesen Moment nutzten Staniçs, Freyr und vor allem Pranas, um dem gefallenen Engel entgegenzutreten und ihm deutlich zu machen, dass dies seine letzte Chance auf Vergebung war. Sie fanden eindringliche Worte, doch am Ende war allen klar, dass letztendlich Karbas selbst den Weg zurück zu Gott finden musste.

Der Engel fiel auf die Knie, eine einzelne Träne löste sich aus seinem Auge. Als er den Kopf wieder hob, konnte man Frieden in seinem Gesicht sehen. Die Wunden und Abzesse verschwanden von seiner Haut, seine verkrüppelten Flügel breiteten sich zu schneeweißen Schwingen aus. Mit einer kleinen Bewegung nahm er das dargebotene Gewand von Pranas entgegen und warf es sich über. Neben ihm lösten sich die Ketten auf, zehntausende gefangener Seelen, die nun endlich den Weg ins Fegefeuer antreten konnten. Karbas wandte sich dem vor ihm knieenden Priester entgegen. "Ich danke dir, Sterblicher. Selten bedarf einer von uns solcher Hilfe, doch es ist eine gute Lektion in Demut. Nun muss ich mich um die zahlreichen Seelen kümmern, die eine Chance aufs Himmelreich erfahren sollen. Kommt, meine Söhne." Mit den Seelen von Woden und Balder an der Hand, die aus den zerschmetterten Körpern der beiden aufstiegen, und gefolgt von denen, die immer noch aus den Ketten strömten, stieg Karbas aus der Regio empor - nun wieder in Gottes Gnaden. Die drei Anwesenden hingegen durchströmte ein tiefes Gefühl von Frieden und Rechtschaffenheit - keiner würde diesen Moment göttlichen Wirkens in seinem Leben je vergessen.